Was Städte aus der der Sondernutzung für E-Scooter lernen können.
Hype und Ärger über E-Scooter in deutschen Innenstädten sind saisonbedingt etwas abgekühlt, doch die Debatte über die Zukunft urbaner Mobilität ist keineswegs beendet.
Nachdem die Elektrokleinstfahrzeuge-Verordnung im Juni zunächst für erste Rahmenbedingungen und Standards sorgte, meldeten Kommunen schnell Nachbesserungsbedarf durch den Gesetzgeber an. Freiwillige Bemühungen vieler Anbieter - kontinuierlichem Austausch vor Ort, Fahrtrainings und zusätzliche App-Hinweise - sind den meisten Kommunen letztlich nicht genug.
Um den Forderungen der Kommunen gerecht zu werden, hatte das Bundesverkehrsministerium im November 2019 eine Novelle der Straßenverkehrsordnung (StVO) auf den Weg gebracht, über die Mitte Februar im Bundesrat abgestimmt wurde. Die Novelle wurde zwar angenommen, die Bestimmungen für E-Scooter wurden jedoch in großen Teilen herausgestrichen. Damit sind maßgebliche regulative Veränderungen für E-Scooter Anbieter bundesweit zunächst in die Ferne gerückt. Auch Voraussetzungen für vereinfachte Sondernutzungsregelungen durch die Kommunen wurden damit zunächst nicht umgesetzt.
Ein regulatives Versäumnis - seit wenigen Jahren nehmen die Kommunen die Steuerung der Mobilität innerhalb ihrer Infrastruktur mit neuem Selbstbewusstsein in die Hand.
Bei den E-Scootern hat sich dieses Selbstbewusstsein von Anfang an gezeigt. Fast alle Städte haben zum Start der elektrifizierten Roller freiwillige Vereinbarungen mit Anbietern geschlossen – Lehren aus den Schwierigkeiten mit neuem Leihfahrrad-Anbieter. Viele Vereinbarungen decken sich dabei mit dem Memorandum of Understanding (MoU), das Städtetag, Städte- und Gemeindebund mit den vier Anbietern Circ, Lime, Tier und Voi vereinbarten: Die Anbieter verpflichten sich freiwillig zur Kooperation mit den Städten, dem Austausch von Daten sowie der Einhaltung von Auflagen zu Abstellorten, Anzahl und ÖPNV-Integration.
Doch viele Kommunen machten schnell deutlich, dass Selbstverpflichtung nicht ausreichen würde und forderten Verschärfungen: Sondernutzungsregelungen seien das unverzichtbare Instrument.
Eine Sondernutzung regelt die Nutzung von öffentlichen Straßen, Wegen und Plätzen, die über den Gemeingebrauch hinausgeht. Für die Anbieter schwebte diese Regulierung von Beginn an als „Damoklesschwert“ über ihren Geschäftsmodellen.
Mit Sondernutzungsregelungen könnten endlich klare und verbindliche Regeln aufgestellt werden, so die Befürworter. Für die Vermietung von E-Scootern müssen Anbieter eine eigene Erlaubnis beantragen, alle kommunalen Vorgaben erfüllen und entsprechend festgelegte Gebühren entrichten – sonst würde eine Erlaubnis nicht erteilt werden. Bislang gilt eine Sondernutzung im öffentlichen Raum beispielsweise lediglich für Café-Tische, Verkaufsstände oder Werbetäfeln, kann aber in begründeten Fällen auch ausgeweitet werden. Viele Kommunen schreckten davor jedoch noch zurück – nicht allein aufgrund rechtlicher Unklarheiten. Für Fortbewegungsmittel, für deren Nutzung eigens Straßen und Wege angelegt werden müssen, gelten enge Grenzen um nicht mehr als Gemeingebrauch zu gelten. Zum anderen, weil dafür in einigen Bundesländern eigens das Landesstraßengesetz angepasst werden müsste.
Vorreiter für die Einführung einer Sondernutzungserlaubnis für E-Scooter ist Bremen. Hier sind Anbieter an eine befristete Sondernutzungserlaubnis gebunden, bei der sich die Stadt die Option vorbehält, im begründeten Fall vom Sonderkündigungsrecht Gebrauch zu machen und dem Anbieter die Erlaubnis zu entziehen.
Der konkrete Unterschied zu anderen Städten lässt sich allerdings bislang kaum beurteilen. Aus zwei entscheidenden Gründen:
- Bis heute haben nur die Anbieter „Voi“ und „Tier“ mit einer kleinen Flotte (insgesamt 400 Stück) den Betrieb in Bremen gestartet. Ein dritter Anbieter zog kurzfristig zurück.
- Die Sondernutzungssituation: Auch wenn der Wettbewerb außerordentlich intensiv ist, ist die Gebühr für die häufig finanziell gut ausgestatteten Anbieter sehr moderat. Zudem unterscheiden sich die Auflagen zwischen Sondernutzung und MoU kaum.
Die Sondernutzung macht keine besonderen Auflagen, die über das MoU hinausgehen.
Beide regeln den notwendigen Zustand der E-Scooter, die permanente Erreichbarkeit über bestimmte Kommunikationskanäle, einen geregelten Datenaustausch und Fristen für gegebenenfalls notwendige Umverteilungen im Stadtgebiet. Abgesehen davon, dass im Falle der Sondernutzung die Vorgaben für die jeweilige Stadt modifiziert und konkretisiert werden.
Dies liegt auch an den limitierten Möglichkeiten zu Auflagen, die in Sondernutzungen festgeschrieben werden können. Anders als bei Ausschreibungen in anderen Städten innerhalb der Europäischen Union kann u.a. die Anzahl der Anbieter nicht beschränkt werden. Auch qualitative Merkmale lassen sich nur bedingt aufnehmen.
Deshalb stellt sich die Frage, ob Sondernutzungen überhaupt der richtige Ansatz sind, den Umgang mit E-Scootern und zukünftigen Mobilitätsformen zu steuern.
Die entscheidenden Fragen der Kommunen adressieren sie nicht: Wie soll eine zukünftige urbane und nachhaltige Mobilität vor Ort gestaltet sein? Welcher Modal Split ist wünschenswert? Wo können Anreize für wünschenswerte Veränderungen gesetzt werden?
E-Scooter haben, wie wenige Neuerungen der letzten Jahre, diese Fragen aufgeworfen:
- Sollten nur Lastenfahrräder die E-Scooter einsammeln und ausliefern, um Diesel-betriebene Transporter zu reduzieren?
- Wie kann das First- und Last-Mile Problem effizient und nachhaltig gelöst werden?
- Kann das Parkraummanagement auf intelligente und nutzerorientierte Art und Weise auf weitere Mobilitätsangebote neben dem Auto ausgeweitet werden?
- Wie kann der motorisierte Individualverkehr reduziert werden?
Gerade diese Fragen kann eine Sondernutzung nicht beantworten, auf die die Kommunen jedoch Antworten finden müssen. Dabei dürfen sie vor allem neben allem Gestaltungswillen nicht die Akzeptanz in der Bevölkerung außer Acht lassen. Auch hier ist der E-Scooter beispielhaft: Nur an für den Nutzer wirklich wichtigen Orten, wird er sich zur relevanten Größe im Modal Split entwickeln. Nur wenn Stellplätze für alle neuen Sharing-Mobilitätsformen in ausreichender Anzahl entstehen, wird sich das Straßenbild vom privaten Pkw wegentwickeln.
Das neue Selbstbewusstsein der Städte kann für alle Beteiligten von großem Vorteil sein. Die Souveränität der Städte, das Ordnungsbild und das Einwirken auf die Steuerung des eigenen Verkehrs sind der Schlüssel zum Erfolg. Die Städte wissen selbst am besten, was Sie brauchen.
Der Einsatz von Sondernutzungsregelungen kann ein Baustein sein, auch wenn ihre Möglichkeiten sehr beschränkt und nicht zukunftsorientiert einsetzbar sind. Sie können schnell dazu führen, dass die Innovationen der Mobilitäts-Anbieter ausgebremst werden und den Städten selbst die Flexibilität verloren geht. Es braucht daher neue und gemeinsame Lösungsansätze, um einem umfassenden Mobilitätskonzept für eine Verkehrswende gerecht zu werden.