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Das Mobilitätsverhalten der letzten Monate hat sich so stark verändert, dass eine Interaktion zwischen öffentlichen und privaten Marktteilnehmern unausweichlich ist. Und obwohl einige schon seit Jahrzehnten bestehen, fehlt diese Interaktion in weiten Teilen. Kooperationsbereitschaft auf technischer Grundlage ist heutzutage jedoch ausschlaggebend, denn sie birgt Entscheidungsgrundlagen für die Zukunft.
Hierfür müssen mehrere Aspekte in Betracht gezogen werden: Die Interaktion zwischen diesen sehr unterschiedlichen Teilnehmern beginnt bereits bei dem Endkunden im Wohnzimmer während der Planung seiner/ihrer täglichen Mobilität, ist aber auch entscheidend am großen runden Tisch von Koalitionsausschüssen. Und während die privaten Anbieter ihre Auslastungsquoten oder algorithmisch errechneten Standorte perfektionieren, geht es leider immer noch bei vielen kommunalen Diskussionen nur um die Kannibalisierungs- und Preis-Frage. Gerade in den Sphären der Mobility-as-a-Service (MaaS) Angebote herrscht ein Kampf um die Plattformen mit den meisten Angeboten für einen möglichst vielfältigen Modal-Split, die beste Tiefenintegration unterschiedlicher Apps oder Monopol-ähnliche Preisgestaltungen durch Tarifzonen von öffentlichen Verkehrsverbünden. Die Gemüter spalten sich darüber, wem der Endkunden gehören sollte, und schlussendlich verlassen alle Beteiligte den Ring entmutigt, da der Endkunde sich für den privaten PKW entscheidet.
Gescheiterte MaaS Projekte gibt es inzwischen einige, allerdings keine klare Aussage über die wahren Gründe. Hinter vorgehaltener Hand wird aber klar formuliert: mit MaaS lässt sich nicht das große Geld verdienen! Da ist es egal, ob der Betreiber dieser Plattform eine öffentliche Institution oder ein internationaler Mobilitäts-Anbieter ist. Jeder, der mit der Zielvorstellung der Monetarisierung ins Rennen geht, wird jegliche Diskussionen in die gleiche Einbahnstraße ohne Wendemöglichkeit lenken.
Dabei darf nicht vergessen werden, dass Mobilität ein öffentliches Anliegen der Gesellschaft ist und eine Grundversorgung in allen Stadtteilen gewährleistet werden muss. Aktuell ist das in vielen Regionen nur durch einen privaten PKW möglich, da sich der Ausbau des ÖPNVs nicht schnell genug an die demographischen Veränderungen anpassen kann. Die Schwierigkeit, in denen viele öffentliche Behörden stecken, ist das Unwissen über die wirkliche Auslastung der öffentlichen Infrastruktur. Während schon lange fleißig Daten an Baustellen- und Stau-Messstellen zur Überlastung der Straßen gesammelt werden, ist die Beantwortung “Welche Mobilitätsbedürfnisse haben die Bewohner meiner Stadt?” anscheinend weiterhin ein Mysterium. Zusätzlich werden lange Entwicklungszyklen der Stadtplanungsbüros zur Achillessehne jeder modernen “Smart City”. Es darf nicht mehr um die perfekt geplante Stadt aus Ingenieurssicht gehen, sondern darum, welches Bedürfnis die Menschen in unterschiedlichen Quartieren haben und wie sich dieses Verhalten, auch durch Einflussfaktoren wie COVID-19, schlagartig verändern kann. Evidence based decision making - also Datenauswertung als Grundlage für strategische Entscheidungen, ist im digitalen Zeitalter eine gängige Methode zur Validierung von Geschäftsmodellen, auch um diese nach Bedarf zu pivotieren. Beobachtet man neue Mobilitätsanbieter weltweit, wie sie gezielte Flotten positionieren, Akquisen zur Marktdurchdringung und kurzfristigen Rückzug nutzen, um das Überleben eines alternativen Mobilitätsangebotes zu gewährleisten, dann kann man sehr viel über die lokale öffentliche Infrastruktur lernen.
Und genau das ist eine der vielen Thesen: Die Zusammenarbeit von privaten und öffentlichen Marktteilnehmern ist unumgänglich wenn diskriminierungsfreie und nachhaltige Mobilitätsalternativen in Städten umgesetzt werden sollen. Die Geolocations-Nutzungsdaten der Apps ermöglichen es privaten Marktteilnehmern, Einblicke in Mobilitätsbedarfe unterschiedlicher Stadtteile zu bekommen, welche ausschlaggebend für eine nachhaltige Infrastrukturplanung sind. Und so lange öffentlicher Boden für die Nutzung dieser Angebote notwendig ist, sollten Anbieter daran interessiert sein, sich an der Diskussion aktiv zu beteiligen. Doch genau hier spielt nun die andere Seite der Medaille eine große Rolle: Solange die öffentliche Hand nicht die Expertise und die Datengrundlage ihrer eigenen Infrastruktur auswerten kann, ist die Behörde auf das Expertenwissen der privaten Anbieter angewiesen. Denn aktuell arbeiten die meisten Datenanalysten nicht in Stadtplanungsbüros, Behörden für Verkehr oder öffentlichen Verkehrsverbünden. Diese notwendigen Einblicke können, trotz verpflichtenden Bereitstellungen im Eckpunktepapier der PBefG-Novelle nicht einfach verlangt werden, denn die Gehälter dieser Analysten können nur durch funktionierende Geschäftsmodelle bezahlt werden. Doch häufig weisen städtische Fixkosten und unstandardisierte Regulierungen Probleme für den Erfolg der Anbieter auf, wie am Beispiel hoher Parkgebühren für die Carsharing Anbieter: Während in Wien 220€ pro Fahrzeug pro Monat als Park-Lizenzgebühr von CarSharing Anbietern verlangt wird, kann ein Anwohnerparkplatz 120€ pro Jahr kosten. Zwar werden hier auch eine Vielzahl von Parkplätzen in fahrradfreundliche Straßen umgewandelt, allerdings hilft auch kein Algorithmus für ‘dynamisches Pricing’, die offensichtliche regulatorische Bevorzugung des klassischen Automobil-Konsums aus den Innenstädten zu drängen.
In manchen Nachbarländern, in denen gesamte Innenstädte, wie z.B. in Madrid, für die Nutzung von privaten PKWs gesperrt werden, lassen sich nachhaltig positive Zahlen für die öffentliche Infrastruktur aufweisen. Dabei ist zu beachten, dass die privaten On-Demand Mobilitätsanbieter hier in den öffentlichen Personennahverkehr mit einbezogen werden, da der Zugang zu alternativer Mobilität als öffentliches Gemeinwohl anerkannt wird.
Sobald ein Bereich in der Stadt nicht durch die vorhandene öffentliche Verkehrsangebote adäquat abgedeckt werden kann, ist die Unterstützung von On-Demand Verkehren ausschlaggebend. Hierbei geht es nicht immer nur um die Randgebiete, in denen der U-Bahn-Ausbau 15 Jahre dauern kann. Immer mehr Behörden nutzen kalkulatorische Modelle zur Veränderung von zeitlichen Frequenzen, bezogen auf die Auslastung von Fahrzeugen im Verlauf eines Tages. Doch schlussendlich müssen Fahrgastzahlen so zeitnah wie möglich ausgewertet werden können, um den anfallenden Bedarf anzupassen, wenn dieser auch wirklich entsteht - und nicht Monate oder Jahre später als alljährliche Fahrplanänderungen. COVID-19 hat aufgezeigt, wie wenig die öffentliche Hand über den genauen Mobilitätsbedarf einer Stadt adhoc informiert werden kann. Eine Reihe von Alternativ-Rechnungen; monatliche Ticketverkäufe und Fahrgastzahlen in selektiven Busflotten wurden herangezogen um Hochrechnungen anzulegen. Vielmehr wäre ein Abgleich über die Nutzung von einzelnen Linien und deren Stationen hilfreich gewesen. Währenddessen konnten Sharing Anbieter genaue Standortanalysen über Nutzung der Flotten und App-Aufrufe zur täglichen Planung und Geschäftsgebieterweiterung als Grundlage der Krisenbewältigung nutzen. Doch für die gemeinschaftlichen Auswertung der Datensätze beider Protagonisten zur nachhaltigen Planung fehlt es noch an standardisierten Schnittstellen.
In europäischen Großprojekten wie die DG Move, mFund oder NeTEx wird diese Auswertung von Daten bereits als wissenschaftliche Grundlage genutzt, um die Zusammenarbeit von privaten und öffentlichen Unternehmungen zu fördern - ein erster Schritt in die Richtung einer Implementierungen in tägliche Mobilitätsentscheidungen, wobei nicht vergessen werden darf, dass das Mobilitätsverhalten häufig sehr lokale Bedürfnisse widerspiegelt. Ein Aspekt, den internationale private Anbieter häufig am eigenen Misserfolg schnell lernen mussten.
Die Thesen zur erfolgreichen Zusammenarbeit lassen sich in den unterschiedlichsten Facetten ausdiskutieren. Fakt ist, dass zur Veränderung der öffentlichen Infrastruktur die Hilfe von Technologien notwendig ist. Erst recht, wenn wir den privaten PKW in Innenstädten auf ein Minimum reduzieren wollen, um mehr Platz für Alternativen zu schaffen. Der digitale Austausch und die Zusammenarbeit von öffentlichen und privaten Akteuren kann nur dann erfolgreich werden, wenn nicht die monetären Beweggründe als Ziel der Diskussion zugrunde gelegt werden. Ansonsten werden die von Subventionen und COVID-19 Hilfen unterstützen öffentlichen Verkehrsverbünde immer die Oberhand gewinnen. Denn solange die technischen Errungenschaften und Dateneinblicke nicht genutzt werden, ist eine Diskussion um Kannibalisierung durch On-Demand Alternativen emotional getrieben. Das Ziel muss sein, Zugang zu nachhaltiger Mobilität als öffentliche Priorität zu setzen, womit die Trennschärfe zwischen öffentlichen und privaten Anbietern verschwimmt. Denn nur dann können politische Regularien auch zum Vorteil von privaten Mobilitätsanbietern formuliert werden, die meist einen genauso großen Mehrwert wie monetäre Subventionen aufweisen können.
Solange helfen auch alle Initiativen von Kommunen, Bundesländern und dem Bundesverkehrsministerium, wie bspw. die Plattform “Mobility Inside” des Verkehrsverbandes VDV oder die Smart City Plattform der Stadt Köln “SmartCity Cologne” der Digitalen Mobilitätsplattform wenig. Denn sie arbeiten auf einer geringen beziehungsweise zu statischen Datengrundlage. Erst wenn diese verbessert wird, können wirkliche Initiativen gestartet werden – die zielgerichtet und zeitnah umgesetzt werden können.