Ein Interview mit Stephan Kühn MdB, verkehrspolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen, über die politischen und gesellschaftlichen Aufgaben für einen erfolgreichen Mobilitätswandel und wie wir hierbei europaweit voneinander lernen können.

Obwohl der öffentliche Personennahverkehr (ÖPNV) in Deutschland als ein Teil der Daseinsvorsorge zählt, ist das Verkehrsnetz dennoch in vielen Gegenden schlecht ausgebaut? Was muss sich dafür politisch und regulatorisch ändern?

Es gibt tatsächlich einen erheblichen Widerspruch zwischen einerseits ÖPNV als Daseinsvorsorge und andererseits ÖPNV als freiwillige Aufgabe der Kommunen, insbesondere wenn man den grundgesetzlichen Anspruch von gleichwertigen Lebensverhältnissen verankert sieht. Deswegen müssen wir uns, genau wie im Gesundheitsbereich, Gedanken darüber machen, wie man Daseinsvorsorge und die dazugehörigen Mindeststandards definiert.

Rheinland-Pfalz möchte den Nahverkehr jetzt Schritt für Schritt zu einer Pflichtaufgabe für die öffentliche Hand machen und das ist ein richtiger Ansatz, andererseits müssen wir natürlich auch dafür sorgen, dass eine auskömmliche Finanzierung besteht. Eine Forderung der Grünen ist es deswegen, im Grundgesetz eine dritte Gemeinschaftsaufgabe (bei der Bund und Länder gemeinsam finanzieren) zur regionalen Daseinsvorsorge zu verankern.

Wie können wir denn konkret, auch unabhängig von Finanzierungsmitteln, die Kommunen vor Ort darin unterstützen, den ÖPNV als Pflichtaufgabe umzusetzen?

Was neben der Finanzierung notwendig ist, ist die Frage des Knowhow-Transfers. Es gibt viele gute Projekte, oft über Modellprojekte ins Leben gerufen, wie wir in der Fläche neue Mobilitätsangebote schaffen können. Sei das zum Beispiel, dass man Personen- und Gütertransport verknüpft, wie das mit dem KombiBus in der Uckermark seit vielen Jahren gemacht wird. Aber gerade, wenn man sich die Verwaltungen anschaut, die letztendlich für Genehmigungsfragen und für die Organisation des öffentlichen Nahverkehrs zuständig sind, merkt man das Ausbluten und die schlechte Personalausstattung in der Fläche. Hier braucht es aus meiner Sicht eine Knowhow-Transferberatung. Wir sollten auf Landesebene und darunter Mobilitätsagenturen und -beratungseinheiten schaffen, die den oft schlecht ausgestatteten Kommunen und deren Mitarbeitern, Handwerkszeug und Support geben, damit das, was andere schon mal auf die Schiene bzw. auf die Straße gebracht haben, auch in anderen Regionen zum Tragen kommt und das Rad nicht jedes Mal neu erfunden werden muss.

Eine Neuerung im Verkehrssektor wird nun die Novelle des Personenbeförderungsgesetzes sein, die viele als Chance für den Mobilitätswandel sehen. Sehen Sie das auch so oder was sind sonstige Schritte, die die Politik für einen erfolgreichen Mobilitätswandel gehen muss?

Also grundsätzlich brauchen wir natürlich neben Gesetzesänderungen und den Fragen „Wie finanzieren wir das Angebot?“ auch einen Mentalitätswechsel: sowohl bei Verkehrsunternehmen als auch bei kommunalen Anbietern. Die Branche muss sich da als Gesamtsystem verstehen und darf sich nicht nur bis zur Grenze des eigenen Tarifgebiets bewegen. Oft kann ein Experiment, was an einer Stelle funktioniert hat, nicht eins zu eins wiederholt werden. Wenn es aber nach vier Jahren Regulierung durch die Experimentierklausel keine Anschlussregelung gibt, wird ein Projekt häufig nicht weitergeführt. Es muss also eine Regelung im Gesetz gefunden werden, wie das besser gelöst werden kann.

Die Novelle des Personenbeförderungsgesetzes fordert aktuell auch, dass Mobilitätsanbieter in Anlehnung an das finnische Modell (Echtzeit)-Daten an Kommunen und Dritte zur Verfügung stellen sollen. Kann das auch in Deutschland so funktionieren, dass es einen Mehrwert bringt?

Auf europäischer Ebene haben wir dafür die PSI-Richtlinie, die national noch umgesetzt werden muss und bei der es darum geht, Daten kostenfrei zur Verfügung zu stellen. Hier gibt es in Deutschland noch viele Widerstände, dabei haben viele vermutlich noch nicht verstanden, dass sie durch die Open Data Mentalität einen Vorsprung haben und eine Chance, Kunden zu binden und neu zu gewinnen. Helsinki hat mit „Whim“ genau das geschafft, was es braucht. Denn, das Auto bietet ein Mobilitätsversprechen – einsteigen und losfahren von Tür zu Tür – welches letztlich auch auf öffentliche Verkehrsmittel übertragen werden muss. Das funktioniert aber nur, wenn verschiedene Angebote intelligent miteinander verknüpft werden und Wegeketten entstehen, die wirklich zuverlässig sind. Mit der Digitalisierung und Automatisierung haben wir hier eine Riesen Chance, datengetrieben Alternativen zu Tarifdschungeln und Fahrplandiplomen zu schaffen.

Zusätzlich hat die Bundesregierung auch ein Autonomes Fahren Gesetz angekündigt. Können wir diese technische Entwicklung denn in Deutschland überhaupt mitgestalten oder wird das eher in China und den USA entschieden?

Blickt man im Bereich hochautomatisierten, autonomen Fahren darauf, wie die Patente verteilt sind, fällt auf, dass Europa und auch Deutschland im internationalen Vergleich gut aufgestellt sind. Entscheidend ist aber aus meiner Sicht, dass wir keine Technik-Diskussion führen, sondern eine verkehrspolitische Diskussion. Das Problem ist natürlich, dass das ganze nur funktioniert, wenn auf europäischer Ebene und in den UN-Gremien die Spezifikationen abgestimmt sind. Welche Sicherheitsanforderungen stelle ich also an diese Fahrzeuge und was müssen die leisten können? Das heißt, dass wir diese Thematik nicht national lösen, sondern – natürlich auch im Rahmen der EU-Ratspräsidentschaft – schauen, dass bei der EU, der UNECE und anderen Gremien die Rahmenbedingungen geschaffen werden. Wir brauchen da eine internationale Verständigung über Sicherheitsstandards einerseits und den Rechtsrahmen andererseits, der dies dann so ermöglicht. Das Eine geht eben nicht ohne das Andere.

Wie sieht ihr ideales Mobilitätskonzept aus und was wären die ersten Schritte, um das zu erreichen?

Grundsätzlich braucht es immer eine integrierte Stadt- und Verkehrsplanung. Das ist eine Voraussetzung, aber leider oft nicht die Realität. Und dann müssen wir es schaffen, dass das Mobilitätsversprechen „einsteigen und losfahren“ umgesetzt wird, ohne dass man sich Gedanken machen muss, ob der Anschluss klappt, wie das mit dem Bezahlen ist, dass ich bequem von Haustür zu Haustür komme, intelligent die ganzen Verkehrsmittel verknüpft sind und ich nur einen Buchungsvorgang habe. Dass wir diese Flexibilität haben, spontan und unkompliziert, verschiedene Verkehrsmittel zu kombinieren und zu nutzen, ohne dass ich deshalb 23 Stunden am Tag ein Auto vor der Haustür stehen haben muss. Das finde ich erstrebenswert.

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